Unsere Motivation für die Öffentlichkeit 2

Wir brauchen mehr kollektive Orte – die Öffentlichkeit

Vor gut 100 Jahren sind alle Menschen jeden Sonntag für zwei Stunden in die Kirche gegangen. Ohne Wenn und Aber. Es gibt gute Gründe, warum Religion nicht mehr so eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft einnimmt und jede:r sich selbst überlegen darf, ob er oder sie religiös sein will. Aber neben der Religion hat die Kirche früher noch etwas anderes befördert, nämlich Gemeindebildung. Unsere Gemeinden sind schon lange immer an den Standort von Kirchen gebunden gewesen. Das ist weggefallen, aber das kollektive Bedürfnis nach gemeindebildenden Orten, nach Orten, die Öffentlichkeit schaffen, ist geblieben.

Was machen jetzt die Menschen, anstelle jeden Sonntag zwei Stunden in die Kirche zu gehen? Manche treffen sich in Sportvereinen, andre pflegen ihren Garten und wieder andere lassen sich vom Fernseher oder aus dem Internet beschallen. Es gibt Ersatz. Manche Orte können das leisten, was die Kirche früher geleistet hat – dass sich ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Vorstellungen davon, wie wir gut zusammenleben, an einem Ort zusammenfinden. Meist sind das Sportvereine. Doch solche Orte werden weniger und hinzu kommt, dass es selbst auf so neutralem Gebiet wie dem Sport beginnt eine Rolle zu spielen, wo du politisch herkommst.

Ist Politik anstrengend, lästig, langweilig?

Dank des Internets kann heutzutage jede:r am öffentlichen Diskurs über Politik teilnehmen. Das ist ein riesiger Fortschritt. Viele merken jedoch, dass sich dadurch der Diskurs geändert hat; er ist unübersichtlicher und an manchen Stellen auch unfreundlicher geworden. Andere wollen gar nicht erst an diesem Diskurs teilnehmen, oft weil er so unübersichtlich und unfreundlich ist. Und wieder andere haben Sorge, dass sie etwas Falsches sagen könnten.

Muss das so sein? Muss die Beschäftigung mit Politik anstrengend und die öffentliche Auseinandersetzung verletzend sein? Ich denke nicht. Mit dem Projekt die Öffentlichkeit möchten wir genau diese Baustelle angehen. Wir wollen lokale Orte der Gemeindebildung schaffen, an welchen wir uns über unsere politischen Bedürfnisse austauschen und auch dazulernen können. Wenn wir wieder damit anfangen, uns beim politischen Streit ins Gesicht zu schauen, eskaliert dieser vielleicht nicht so schnell.

Träume kann man noch haben

Wir träumen davon, dass es irgendwann wieder in jeder Gemeinde einen oder gleich viele Ort gibt, an denen sich alle möglichen Menschen treffen können, um sich darum zu kümmern, was sie zusammenbringt – als Nachbar*innen, als Menschen, als politische Wesen. Denn am Ende wollen alle Menschen dasselbe: ein gutes Leben für sich und die Menschen, die ihnen wichtig sind. Und nur, weil Uneinigkeit darüber besteht, wie das zu erreichen ist und unter welchen Bedingungen wir diesen Weg einschlagen, sollten wir uns doch nicht aus dem Weg gehen.

Gemeinsam schaffen alle Menschen so viel mehr. Wir sind Menschen, weil wir uns vergemeinschaften. Da wir in der Lage sind, uns gegenseitig zu helfen und miteinander mehr zu leisten als alleine, konnten wir uns zu den Wesen entwickeln, die wir heute sind. Mensch sein heißt gemeinsam sein. Und es ist eine notwendige Entwicklung, dass nach dem schrittweise Absterben der Innenstädte in den letzten Jahren etwas Neues passiert – die Gemeinde muss neu gedacht werden!

Bleibt dran – im nächsten Newsletter schreibe ich über die Tradition der Begegnungscafés und der Salons.

Unsere Motivation für die Öffentlichkeit 1

Wahlzettel - die Öffentlichkeit

Ein Problem, das wir lösen möchten

Am 25. März 2021 kippte das Bundesverfassungsgericht den sogenannten Berliner Mietendeckel in Folge einer Normenkontrollklage. Tausende Bürger:innen müssen jetzt Mietzinsen nachzahlen, von Geld, das sie nicht haben. Ein vermeidbares Chaos und wohl die Folge inkonsequent umgesetzter Wohnungspolitik des Berliner Senats. Der Stadt Brandenburg an der Havel ist in den letzten 10 Jahren ein Schaden von etwa 2,5 Millionen Euro für Strafzinsen entstanden, weil sie Mittel für die Stadtplanung nicht fristgerecht eingesetzt hat. Obwohl die Mehrheit der Bürger:innen von Brandenburg sich zum Beispiel für eine Verkehrsberuhigung der Altstadt einsetzt, werden schon beschlossene Maßnahmen nicht umgesetzt. Bezieht man die Öffentlichkeit von Beginn an in kritische politische Entscheidungsprozesse ein, entstehen seltener unbeliebte Entscheidungen.

Diese Beispiele sind nur zwei von unzähligen Fällen, in welchen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik grob an den Interessen der Bürger:innen, vorbei regiert haben. Die Gründe für Politikversagen sind das Lieblingsthema etablierter Talkrunden und privater Tischgespräche. Abgesehen von diesen konkreten Beispielen, ist die Liste unpopulärer Entscheidungen nicht enden wollend: von inkonsequenter und unregulierter Migrationspolitik bis hin zum verleugnenden Umgang mit dem Klimawandel … wenn ich in meine Suchmaschine „Politik“ eintippe, ist die erste Autovervollständigung „Politikversagen“.

So ist das nun mal – so war das schon immer

Es gibt Menschen, die meinen, so sei Politik nun einmal. Das lässt sich nicht lösen. Es wird immer Menschen geben, die unzufrieden sind. Und polarisierende Entscheidungen gab es schon immer. Ja, das stimmt. Es ist nicht möglich, es allen recht zu machen. Aber es gibt definitiv die Möglichkeit, Politik so zu gestalten, dass nicht die überwiegende Zahl der Menschen mit Zukunftsängsten am Existenzminimum lebt. Und dass etwas „schon immer so“ gemacht wurde, ist kein Argument dafür, es weiterhin so zu machen, sondern höchstens ein faules Beispiel für einen sogenannten Sein-Sollen-Fehlschluss.*

Ein wesentlicher Faktor, warum sich in der „professionellen“ Politik schon so lange nichts mehr geändert hat, ist, dass zu wenige Bürger:innen das „Handwerkszeug“ haben, ihre Vertreter:innen zur Verantwortung zu ziehen. Stellt euch vor, schlecht gemachte Politik hätte tatsächliche Konsequenzen. Alle bekämen es mit, wenn jemand seine Wahlversprechen nicht einhält. Und dann würde er oder sie nicht wiedergewählt oder sogar frühzeitig durch ein Misstrauensvotum seines bzw. ihres Amtes enthoben. Stellt euch vor, mehr und mehr Menschen würden sich der Mittel der Einflussnahme auf Politik bedienen. Und zwar nicht nur, indem sie alle paar Jahre ein Kreuzchen machen. Durch die rege Beteiligung an Bürger:innenbegehren, Planfeststellungsverfahren oder kommunalen Interessenvertretungen ist schon viel Gutes entstanden.

Ihr ewigen Nörgler:innen

Ich wette, manche denken jetzt: „Das ist doch nichts Neues“, „Die Leute wollen sich nicht beteiligen“ und „Das funktioniert doch eh nicht!“ Darauf antworte ich: „Ja, stimmt“, „Nein, da bin ich anderer Meinung“ und „Woher wollen wir das wissen, bevor wir‘s ausprobiert haben?“           
Menschen beteiligen sich nicht, weil die Möglichkeiten politisch mitzumachen in Deutschland bürokratisch und unübersichtlich sind. Darüber hinaus wird die Beteiligung an Politik meist nicht gerade mit Spaß in Verbindung gebracht. Politik ist anstrengend, kompliziert, langweilig oder macht schlechte Laune. So die landläufige Meinung in der Öffentlichkeit. Aber muss das so sein?

Was wäre wenn …

Was wäre zum Beispiel, wenn es um die Ecke ein nettes Café gibt, in dem der Kuchen super schmeckt und man sich unkompliziert und kostenlos zu politischer Beteiligung beraten lassen kann? Kein kahles Politbüro oder eine farblose Behörde, sondern ein gemütliches „Wohnzimmer“. Es läuft Musik, ihr könnt euch mit einem Tee wärmen oder einem Bier zuprosten und daneben etwas über das Grundgesetz oder Beteiligungsverfahren lernen. Unser Projekt, die Öffentlichkeit, ist ein Ort, der das alles möglich macht, und noch viel mehr.

Bleibt dran – im nächsten Newsletter gibt es Teil 2 unserer Motivation für die Öffentlichkeit, mit Schwerpunkt auf den besagten Ort, das Demokratiecafé.

* Mini-Exkurs Philosophie: Ein Sein-Sollen-Fehlschluss (siehe auch Humes Gesetz) liegt vor, wenn jemand aus einer reinen Feststellung, z. B. „Eheschließungen fanden immer zwischen einem Mann und einer Frau statt.“, einen Soll-Satz ableitet, z. B. „Eheschließungen dürfen nur zwischen einem Mann und einer Frau stattfinden.“

Der Weg in die Öffentlichkeit

Menschenmenge

Der Weg in die Öffentlichkeit

Ein kleiner Einblick in die Gründung der Öffentlichkeit

Ich klicke mich durch die verschiedenen Bewertungsfelder, nachdem wir die Rückmeldung zum Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg bekommen haben, und lese: „Es ist einer der besten Businesspläne, die mir nicht nur im BPW, sondern in meiner gesamten langen beruflichen Laufbahn untergekommen ist.“ Mein Herz klopft, ich öffne die zweite Bewertung und lese, „Hätte ich als Juror nicht die Aufgabe den gesamten Businessplan durchzuarbeiten, hätte ich nach der Zusammenfassung nicht weiter gelesen.“

Gründen ist nicht leicht. Das ist ein ,no-brainer‘, wie es im Jargon heißt – eine evidente Sache, etwas, über das man nicht nachzudenken braucht. Klar, gründen ist nicht leicht, aber ich hätte zu Beginn nie gedacht, wie verrückt diese Reise sein kann. Ich hätte nie gedacht, in was ich mich begebe, bevor ich nur eine Unterschrift gesetzt, den ersten Euro investiert habe.

die Öffentlichkeit soll mehr sein

Mein Mitgründer Aaron und ich, Charlotte, wollen ein Demokratiecafé eröffnen; ein richtiges Café, in dem ihr Kaffee, Kuchen und am Abend mal eine Weinschorle bekommt, in dem es aber auch um Politik geht. Wir wollen einen sympathischen Ort schaffen, an dem sich Menschen gerne mit Politik beschäftigen. An dem es ihnen leicht gemacht wird, sich zu informieren und vielleicht sogar in Aktion zu treten.

Dabei wollen wir nicht ,nur‘ ein Café mit Programm sein und auch kein Stadtteilcafé, die Öffentlichkeit soll mehr sein. Aaron und ich studieren Philosophie und forschen zu Demokratie und Gesellschaft. Uns ist wichtig, dass das, was wir tun, wissenschaftlich fundiert ist. Deshalb arbeiten wir auch mit einem Forschungsprogramm zusammen, das sich explizit mit demokratischen Orten und sogenannten demokratischen Mikropraktiken beschäftigt. Das Demokratiecafé die Öffentlichkeit wird deshalb ein Modellprojekt. Wir versuchen dort unser Wissen aus der Forschung anzuwenden. Wir wollen beobachten, welche Wirkung wir mit dem, was im Café passiert, erzielen und unser Konzept dann weiterentwickeln.

Gemeinnützigkeit braucht Geld

Wie ich schon angedeutet habe, ist es unser Ziel, dass sich mehr und mehr Menschen gerne mit Politik beschäftigen. Das ist der Zweck des Cafés, und deshalb wird jeder erwirtschaftete Cent diesem Zweck zukommen. Letztlich ist es aber immer noch ein Café, das Geld einnehmen muss. Damit das Projekt langfristig funktioniert, vor allem aber zu Beginn, braucht es Investitionen. Und hier treffen zwei unterschiedliche Welten aufeinander – die Welt der Wirtschaft und die Welt des sozial-gesellschaftlichen Engagements und Handelns.

Es gibt immer mehr Institutionen und Unternehmen, die das wirtschaftliche Handeln und das Handeln für den guten Zweck miteinander vereinen. Die Gründer*innenszene besteht aber immernoch aus Vielen, die es komisch finden, wenn ein wirtschaftliches Unternehmen keinen klassischen Profit machen möchte. Wenn der Mehrwert eines Unternehmens zum Beispiel Bildung, Gemeinschaft, Teilhabe usw. ist, dann gehört diese Unternehmung für einige immer noch in einen anderen Sektor als Unternehmen, die Geld verdienen.

Innovation oder Risiko?

Ich denke, das ist ein Grund, warum wir mit unserem Projekt in der Gründer*innenszene so extrem konträre Reaktionen hervorrufen. Da sind auf der einen Seite Menschen, die persönlich von der Idee angetan sind, die unsere Werte teilen und die Art und Weise, wie wir uns gesellschaftlich beteiligen wollen, innovativ finden. Und da sind auf der anderen Seite Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass unser Geschäftsmodell Erfolg bringt, so wie sie Erfolg verstehen.

Der Stand unserer Gründung ist, dass wir nach wie vor an unserem Businessplan feilen. Wir werden von unserer Uni durch Beratung und Vernetzung sehr gut unterstützt. Und wir haben in allen wichtigen Bereichen der Unternehmensgründung ,Eisen im Feuer‘. Die Türen des Demokratiecafés sollen in genau einem Jahr, im April 2022 öffnen. Bis dahin ist noch viel zu tun und vor allem viel zu erzählen.

Bleibt dran – im nächsten Newsletter geht es um unsere Motivation für die Öffentlichkeit.