Salon – Kaffeehaus – die Öffentlichkeit

Kaffeehaus

Tradition des Kaffeehauses

Überleg mal kurz. Wo hattest du dein letztes richtig gutes Gespräch über Politik oder gesellschaftliche Themen? Ich rate jetzt mal. Es war höchstwahrscheinlich an einem Tisch, über einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein. Zumindest war für dein leibliches Wohl gesorgt, du hast dich wohl gefühlt und genug Zeit und Raum gehabt, um über Kompliziertes oder sogar Unangenehmes zu sprechen.

Auch wenn es nicht gerade das letzte Gespräch war – du wirst so ein gutes Gespräch schon einmal gehabt haben. „Politik beginnt im Kaffeehaus“, titelte einst eine bekannt Kaffeemarke und Stefan Zweig schrieb über das Wiener Kaffeehaus: „Es stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast […] stundenlang sitzen, diskutieren […] kann.“

Wer gemeinsam isst, der vertraut sich

Über einer Tasse Kaffee, einem abendlichen Getränk, einem Stück Kuchen oder sogar dem Abendbrot, lässt sich so viel entspannter über gesellschaftliche Themen reden. Das gemeinsame Essen und Trinken verbindet. Die besten Gespräche hat man zu Tisch. Wir teilen unser Brot und unseren Wein und dann können wir uns gerne darüber streiten, wieviel Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu viel ist.

Doch die Tradition der Orte, an denen das gesellschaftliche Leben geprägt wurde, ist selbstverständlich älter als die Wiener Kaffeehauskultur. Schon die Agora, der zentrale Versammlungs- und Marktplatz im antiken Griechenland, galt als Ort, der das gesellschaftliche Leben besonders prägte. Und viele Jahrhunderte später war es meist der Marktplatz, auf dem man Nachrichten erfuhr und sich am öffentlichen Leben beteiligte.

Ist ein Kaffeehaus nur was für die „Schlauen“?

In der Hochzeit der Aufklärung entstanden dann in vielen Ländern Europas die literarischen Salons. Hier trafen sich nicht nur berühmte Künstler (um mit Goethe, den Gebrüdern Grimm und Beethoven nur ein paar Schwergewichte zu nennen), es wurde sich neben Literatur und Musik auch über Politisches und Gesellschaftliches ausgetauscht. Die Salonkultur reichte noch bis ins 20. Jahrhundert, aber um die Jahrhundertwende entwickelten sich dann die weit öffentlicheren Kaffeehäuser als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, allen voran die Kultur des Wiener Kaffeehauses.

„Für das gesellschaftliche und theilweise auch für das geschäftliche Leben von Wien sind die Kaffeehäuser von der höchsten Bedeutung“, so der Illustrierte Wegweiser durch Wien und Umgebungen, erschienen um 1900. Auffällig ist wohl, dass sich an all diesen Orten des gesellschaftlichen Lebens vor allem Intellektuelle trafen, Künstler, Schriftsteller und Musiker. Sind es nur die „Gebildeten“, die sich für die Einmischung und den Austausch über das öffentliche Leben interessieren? Ich glaube nicht. Damals haben die traditionellen Orte des gesellschaftlich, öffentlichen Lebens die gesellschaftliche Realität, aber auch deren Wandel abgebildet.

Vor 200 Jahren hatten Frauen kaum Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzuhaben, oder sich an Gesprächen über gesellschaftlichen Themen zu beteiligen. Mit den Salons änderte sich das ein wenig und ebnete so den Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts nicht unwesentlich den Weg. Und im Kaffeehaus der letzten Jahrhundertwende entwickelten sich liberale Gedanken, die danach mehr und mehr Einfluss auf die Gestaltung der Demokratien von heute nahmen.

Und was hält die Zukunft bereit?

Heute sind die Social-Media-Kanäle die dominanten Räume der Öffentlichkeit. Diese Entwicklung hat uns viel gebracht, doch für mich persönlich überwiegt momentan der negative Einfluss auf die Stimmung der Gesellschaft. Was können wir schaffen, wenn wir eine neue Kultur von Begegnungsort etablieren? Wofür werden die „Orte der Öffentlichkeit“ bekannt sein, wenn man in 100 Jahren auf sie zurückblickt? Wir hoffen, dass wir zu einem neuen Selbst- und Politikverständnis beitragen, das hilft, unsere Demokratie wieder stabiler und authentischer zu machen. Wie ich schon zuvor einmal schrieb, es kann nie allen recht gemacht werden, aber es ist möglich, die Bedürfnisse der meisten Menschen besser umzusetzen. Auf eine neue Kultur des Tischgesprächs – auf die Öffentlichkeit.

Bleibt dran – im nächsten Newsletter wird es politisch. Es geht um „fake news“ und das Für und Wider des Impfens.

Unsere Motivation für die Öffentlichkeit 2

Wir brauchen mehr kollektive Orte – die Öffentlichkeit

Vor gut 100 Jahren sind alle Menschen jeden Sonntag für zwei Stunden in die Kirche gegangen. Ohne Wenn und Aber. Es gibt gute Gründe, warum Religion nicht mehr so eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft einnimmt und jede:r sich selbst überlegen darf, ob er oder sie religiös sein will. Aber neben der Religion hat die Kirche früher noch etwas anderes befördert, nämlich Gemeindebildung. Unsere Gemeinden sind schon lange immer an den Standort von Kirchen gebunden gewesen. Das ist weggefallen, aber das kollektive Bedürfnis nach gemeindebildenden Orten, nach Orten, die Öffentlichkeit schaffen, ist geblieben.

Was machen jetzt die Menschen, anstelle jeden Sonntag zwei Stunden in die Kirche zu gehen? Manche treffen sich in Sportvereinen, andre pflegen ihren Garten und wieder andere lassen sich vom Fernseher oder aus dem Internet beschallen. Es gibt Ersatz. Manche Orte können das leisten, was die Kirche früher geleistet hat – dass sich ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Vorstellungen davon, wie wir gut zusammenleben, an einem Ort zusammenfinden. Meist sind das Sportvereine. Doch solche Orte werden weniger und hinzu kommt, dass es selbst auf so neutralem Gebiet wie dem Sport beginnt eine Rolle zu spielen, wo du politisch herkommst.

Ist Politik anstrengend, lästig, langweilig?

Dank des Internets kann heutzutage jede:r am öffentlichen Diskurs über Politik teilnehmen. Das ist ein riesiger Fortschritt. Viele merken jedoch, dass sich dadurch der Diskurs geändert hat; er ist unübersichtlicher und an manchen Stellen auch unfreundlicher geworden. Andere wollen gar nicht erst an diesem Diskurs teilnehmen, oft weil er so unübersichtlich und unfreundlich ist. Und wieder andere haben Sorge, dass sie etwas Falsches sagen könnten.

Muss das so sein? Muss die Beschäftigung mit Politik anstrengend und die öffentliche Auseinandersetzung verletzend sein? Ich denke nicht. Mit dem Projekt die Öffentlichkeit möchten wir genau diese Baustelle angehen. Wir wollen lokale Orte der Gemeindebildung schaffen, an welchen wir uns über unsere politischen Bedürfnisse austauschen und auch dazulernen können. Wenn wir wieder damit anfangen, uns beim politischen Streit ins Gesicht zu schauen, eskaliert dieser vielleicht nicht so schnell.

Träume kann man noch haben

Wir träumen davon, dass es irgendwann wieder in jeder Gemeinde einen oder gleich viele Ort gibt, an denen sich alle möglichen Menschen treffen können, um sich darum zu kümmern, was sie zusammenbringt – als Nachbar*innen, als Menschen, als politische Wesen. Denn am Ende wollen alle Menschen dasselbe: ein gutes Leben für sich und die Menschen, die ihnen wichtig sind. Und nur, weil Uneinigkeit darüber besteht, wie das zu erreichen ist und unter welchen Bedingungen wir diesen Weg einschlagen, sollten wir uns doch nicht aus dem Weg gehen.

Gemeinsam schaffen alle Menschen so viel mehr. Wir sind Menschen, weil wir uns vergemeinschaften. Da wir in der Lage sind, uns gegenseitig zu helfen und miteinander mehr zu leisten als alleine, konnten wir uns zu den Wesen entwickeln, die wir heute sind. Mensch sein heißt gemeinsam sein. Und es ist eine notwendige Entwicklung, dass nach dem schrittweise Absterben der Innenstädte in den letzten Jahren etwas Neues passiert – die Gemeinde muss neu gedacht werden!

Bleibt dran – im nächsten Newsletter schreibe ich über die Tradition der Begegnungscafés und der Salons.

Unsere Motivation für die Öffentlichkeit 1

Wahlzettel - die Öffentlichkeit

Ein Problem, das wir lösen möchten

Am 25. März 2021 kippte das Bundesverfassungsgericht den sogenannten Berliner Mietendeckel in Folge einer Normenkontrollklage. Tausende Bürger:innen müssen jetzt Mietzinsen nachzahlen, von Geld, das sie nicht haben. Ein vermeidbares Chaos und wohl die Folge inkonsequent umgesetzter Wohnungspolitik des Berliner Senats. Der Stadt Brandenburg an der Havel ist in den letzten 10 Jahren ein Schaden von etwa 2,5 Millionen Euro für Strafzinsen entstanden, weil sie Mittel für die Stadtplanung nicht fristgerecht eingesetzt hat. Obwohl die Mehrheit der Bürger:innen von Brandenburg sich zum Beispiel für eine Verkehrsberuhigung der Altstadt einsetzt, werden schon beschlossene Maßnahmen nicht umgesetzt. Bezieht man die Öffentlichkeit von Beginn an in kritische politische Entscheidungsprozesse ein, entstehen seltener unbeliebte Entscheidungen.

Diese Beispiele sind nur zwei von unzähligen Fällen, in welchen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik grob an den Interessen der Bürger:innen, vorbei regiert haben. Die Gründe für Politikversagen sind das Lieblingsthema etablierter Talkrunden und privater Tischgespräche. Abgesehen von diesen konkreten Beispielen, ist die Liste unpopulärer Entscheidungen nicht enden wollend: von inkonsequenter und unregulierter Migrationspolitik bis hin zum verleugnenden Umgang mit dem Klimawandel … wenn ich in meine Suchmaschine „Politik“ eintippe, ist die erste Autovervollständigung „Politikversagen“.

So ist das nun mal – so war das schon immer

Es gibt Menschen, die meinen, so sei Politik nun einmal. Das lässt sich nicht lösen. Es wird immer Menschen geben, die unzufrieden sind. Und polarisierende Entscheidungen gab es schon immer. Ja, das stimmt. Es ist nicht möglich, es allen recht zu machen. Aber es gibt definitiv die Möglichkeit, Politik so zu gestalten, dass nicht die überwiegende Zahl der Menschen mit Zukunftsängsten am Existenzminimum lebt. Und dass etwas „schon immer so“ gemacht wurde, ist kein Argument dafür, es weiterhin so zu machen, sondern höchstens ein faules Beispiel für einen sogenannten Sein-Sollen-Fehlschluss.*

Ein wesentlicher Faktor, warum sich in der „professionellen“ Politik schon so lange nichts mehr geändert hat, ist, dass zu wenige Bürger:innen das „Handwerkszeug“ haben, ihre Vertreter:innen zur Verantwortung zu ziehen. Stellt euch vor, schlecht gemachte Politik hätte tatsächliche Konsequenzen. Alle bekämen es mit, wenn jemand seine Wahlversprechen nicht einhält. Und dann würde er oder sie nicht wiedergewählt oder sogar frühzeitig durch ein Misstrauensvotum seines bzw. ihres Amtes enthoben. Stellt euch vor, mehr und mehr Menschen würden sich der Mittel der Einflussnahme auf Politik bedienen. Und zwar nicht nur, indem sie alle paar Jahre ein Kreuzchen machen. Durch die rege Beteiligung an Bürger:innenbegehren, Planfeststellungsverfahren oder kommunalen Interessenvertretungen ist schon viel Gutes entstanden.

Ihr ewigen Nörgler:innen

Ich wette, manche denken jetzt: „Das ist doch nichts Neues“, „Die Leute wollen sich nicht beteiligen“ und „Das funktioniert doch eh nicht!“ Darauf antworte ich: „Ja, stimmt“, „Nein, da bin ich anderer Meinung“ und „Woher wollen wir das wissen, bevor wir‘s ausprobiert haben?“           
Menschen beteiligen sich nicht, weil die Möglichkeiten politisch mitzumachen in Deutschland bürokratisch und unübersichtlich sind. Darüber hinaus wird die Beteiligung an Politik meist nicht gerade mit Spaß in Verbindung gebracht. Politik ist anstrengend, kompliziert, langweilig oder macht schlechte Laune. So die landläufige Meinung in der Öffentlichkeit. Aber muss das so sein?

Was wäre wenn …

Was wäre zum Beispiel, wenn es um die Ecke ein nettes Café gibt, in dem der Kuchen super schmeckt und man sich unkompliziert und kostenlos zu politischer Beteiligung beraten lassen kann? Kein kahles Politbüro oder eine farblose Behörde, sondern ein gemütliches „Wohnzimmer“. Es läuft Musik, ihr könnt euch mit einem Tee wärmen oder einem Bier zuprosten und daneben etwas über das Grundgesetz oder Beteiligungsverfahren lernen. Unser Projekt, die Öffentlichkeit, ist ein Ort, der das alles möglich macht, und noch viel mehr.

Bleibt dran – im nächsten Newsletter gibt es Teil 2 unserer Motivation für die Öffentlichkeit, mit Schwerpunkt auf den besagten Ort, das Demokratiecafé.

* Mini-Exkurs Philosophie: Ein Sein-Sollen-Fehlschluss (siehe auch Humes Gesetz) liegt vor, wenn jemand aus einer reinen Feststellung, z. B. „Eheschließungen fanden immer zwischen einem Mann und einer Frau statt.“, einen Soll-Satz ableitet, z. B. „Eheschließungen dürfen nur zwischen einem Mann und einer Frau stattfinden.“