Volksabstimmung = eindeutiger Volkswille? Direkte Demokratie 3

Reichstag

Eines der Hauptargumente für eine Wende zur direkten Demokratie ist, dass dadurch der Volkswille besser ausgedrückt wird. Jede wahlberechtigte Person könnte so ganz genau dafür ihre Stimme abgeben, was ihr als unterstützungswert gilt. Anstatt darauf zu hoffen, dass die Stellvertreter:innen richtige Entscheidung treffen, trifft man sie selbst.

„Wählen ist wie Einkaufen.“

Das Gremium der Stellvertreter:innen ist das Parlament. Dort kommen sie ihrer Pflicht nach: den Wähler:innenwillen ausdrücken. Dafür müssen sie mit bestimmten Positionen werben, so wie Marken für ihre Produkte werben. Heutzutage geht es beim Einkaufen, wie auch bei der Politik, um Emotionen.

Eine direkte Demokratie könnte Abhilfe schaffen. Nicht mehr muss das bessere Wahlkampfteam gewinnen, noch muss man sich Sorgen machen, dass die beworbenen Inhalte keine Umsetzung finden.

Im letzten Monat habe ich Argumente für und gegen die politische Aktivierung der Bürger:innen gegeben, die aus einer Wende zur direkten Demokratie folgt. Heute soll es darum gehen, ob die direkte Demokratie den Volkswillen wirklich besser repräsentieren kann.  

„Der Volkswille wird direkt erhoben.“

Ein ganz klares Argument dafür ist, dass man Entscheidungen selbst treffen kann. Der Volkswille wird direkt erhoben. Es gibt keine Vermittlungsposition. Das fördert würde die Transparenz fördern, da nicht irgendjemand Gesetze nur nach seinen Interessen im Hinterzimmer aushandelt. Rein ideologische Entscheidungen und der Einfluss von Drittinteressen hätten es schwerer. Die Informationen zu Abstimmungen sollten ein unabhängiges Gremium bestimmen und einfach und offen abrufbar sein. Eine solche Regelung unterstützt nicht nur die Transparenz, sondern auch die Akzeptanz politischer Entscheidungen. Hierbei darf man nur nicht die Fallen der Schweiz mitnehmen.

„Negativ für die direkte, negativ für die repräsentative Demokratie?“

Es bleiben Probleme. Leute könnten das Informationsangebot nicht annehmen oder Dritte könnten weiterhin mit hohem finanziellen Aufwand Einfluss gewinnen. Und all das könnte noch weit negativere Folgen haben: Durch schnelle Abstimmungen zu antidemokratischen Gesetzen könnten Grundrechte, Bevölkerungsgruppen und damit die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr gebracht werden.

Wieso das eine Gefahr ausschließlich für die direkte Demokratie sei, bleibt ungewiss. Bereits jetzt könnten über legale Wege Parteien an die Macht kommen, von denen eine ähnliche Gefahr ausgeht. Hier kommt es letztlich darauf an, wie wehrfähig die Verfassung und die Zivilbevölkerung ist, wenn Mitbürger:innen Schaden droht.

„Was die direkte Demokratie bringt, zeigt nur ein Experiment.“

Es ist eindeutig: Der Volkswille wird genauer repräsentiert. In wie weit das aber eine bessere Politik bedeutet, lässt sich in der Theorie nicht sagen. Alle Gegenargumente treffen auch auf die repräsentative Demokratie zu. Letztlich muss ein Experiment zeigen, ob die direkte Demokratie oder eine starke Hybridform aus direkter und repräsentativer Demokratie besser ist.

Gemeinschaft durch Partizipation? Direkte Demokratie 2

Die Mehrheit für mehr Partizipation

70 Prozent aller Bürger:innen sind davon überzeugt, dass die repräsentative Demokratie durch weitere Formen der Beteiligung ergänzt werden soll. So lautet das Ergebnis einer Umfrage, die nach dem ersten Bürgerrat zum Thema Demokratie (mit diesen erarbeiteten Empfehlungen) im September 2019 durchgeführt wurde. Auch 2021 sieht es nicht besser aus: Nur vier Prozent geben in dieser Studie von Anfang Juni an, dass sie sehr zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung sind. Die Mehrheit ist unzufrieden. Die Mehrheit will mehr Partizipation. Sollten dies nicht Zeichen des Wechsels sein?

Das bedeutet nicht, dass ein Regierungswechsel alles ändern würde. Die politische Struktur selbst könnte das Problem sein. Deswegen ist es relevant über neue Formen der Partizipation zu sprechen.

Letzten Monat haben wir das Konzept der direkten Demokratie vorgestellt. Diesmal werden Gründe Für und Wider vorgestellt, so wie sie vom Bürgerrat Demokratie ausgearbeitet wurden.

Allgemein gibt es zwei Hauptargumente für Mechanismen der direkten Demokratie: 1. Aktivierung der Bürger:innen als politische Akteur:innen und 2. eine bessere Repräsentation des politischen Handelns. Die Aktivierung der Bürger:innen für politische Prozesse bringt einige Erwartungen mit. Die Diskussion, die vor einer Volksabstimmung stattfindet, soll nicht nur eine starke Einbindung der Einzelnen in die politischen Entscheidungen garantieren, sondern auch gemeinschaftsbildend wirken. Dass trotzdem Fronten verbleiben oder einige Abstimmungen kontroverser sind als andere, bleibt dabei natürlich bestehen. Wenn das Infomaterial zu den Abstimmungen jedoch zuvor von Bürger:innenräten erarbeitet wurde und der Einfluss Dritter (zum Beispiel irgendwelcher Unternehmen) begrenzt bleibt, dann kann der Diskurs unter möglichst gleichen Voraussetzungen versöhnlich bleiben. Die Volksentscheide, ob sie nun von oben oder von unten kommen, sind dann ein Projekt der Bürger:innen, da sie selbst die Struktur tragen, anstatt das einzelne Interessensgruppen oder politische Parteien diese beeinflussen können.

Es gibt Gegenargumente:

1. Gerade manche Themen könnten einen hohen Verständnisaufwand fordern

2. Eine bürger:innennahe Struktur wird viel kosten

3. Der Diskurs könnte die Gesellschaft in ein Pro- und ein Kontralager spalten

4. Die Abstimmungen könnten zu Ermüdung führen.

Nur mit Bildung und Information funktioniert Direkte Demokratie

Diese Sorgen sind wichtig, können aber auch entkräftet werden. Zum Beispiel wird die gesellschaftliche Spaltung nicht ganz so gravierend sein, wenn alle dasselbe Wissen über die Gründe beider Positionen haben (durch gemeinsames Infomaterial) und man sich im Gespräch respektvoll begegnet. Ebenso müssen alle Menschen mitmachen können. Das muss die Infrastruktur leisten können. Nur die Kosten werden hoch bleiben. Wie viel sind uns ein gesellschaftlicher Frieden und eine starke Demokratie wert? Wenn man Millionenbeträge in die Entwicklung neuartiger Waffensysteme investieren kann, dann sollte der Aufbau und Erhalt einer solchen Infrastruktur ebenso möglich sein.

Natürlich verbleiben Probleme. Vielleicht muss man in einer sich wandelnden Welt einfach mal versuchen neue Formen der Problemlösung anzugehen. Ich weiß nicht, was sich der erste Mensch gedacht hat, der sich ein Häuschen baute, der erste, der Theater spielte, der erste, der Feuer machte. Aber vielleicht war es ein ähnlicher Antrieb.

Nächsten Monat geht es darum, wie direkte Demokratie eine bessere Repräsentation der Bürger:innen schafft. Dafür kläre ich zuerst, wie das politische System Deutschlands derzeit repräsentiert. Bis dann!

Unsere Motivation für die Öffentlichkeit 2

Wir brauchen mehr kollektive Orte – die Öffentlichkeit

Vor gut 100 Jahren sind alle Menschen jeden Sonntag für zwei Stunden in die Kirche gegangen. Ohne Wenn und Aber. Es gibt gute Gründe, warum Religion nicht mehr so eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft einnimmt und jede:r sich selbst überlegen darf, ob er oder sie religiös sein will. Aber neben der Religion hat die Kirche früher noch etwas anderes befördert, nämlich Gemeindebildung. Unsere Gemeinden sind schon lange immer an den Standort von Kirchen gebunden gewesen. Das ist weggefallen, aber das kollektive Bedürfnis nach gemeindebildenden Orten, nach Orten, die Öffentlichkeit schaffen, ist geblieben.

Was machen jetzt die Menschen, anstelle jeden Sonntag zwei Stunden in die Kirche zu gehen? Manche treffen sich in Sportvereinen, andre pflegen ihren Garten und wieder andere lassen sich vom Fernseher oder aus dem Internet beschallen. Es gibt Ersatz. Manche Orte können das leisten, was die Kirche früher geleistet hat – dass sich ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Vorstellungen davon, wie wir gut zusammenleben, an einem Ort zusammenfinden. Meist sind das Sportvereine. Doch solche Orte werden weniger und hinzu kommt, dass es selbst auf so neutralem Gebiet wie dem Sport beginnt eine Rolle zu spielen, wo du politisch herkommst.

Ist Politik anstrengend, lästig, langweilig?

Dank des Internets kann heutzutage jede:r am öffentlichen Diskurs über Politik teilnehmen. Das ist ein riesiger Fortschritt. Viele merken jedoch, dass sich dadurch der Diskurs geändert hat; er ist unübersichtlicher und an manchen Stellen auch unfreundlicher geworden. Andere wollen gar nicht erst an diesem Diskurs teilnehmen, oft weil er so unübersichtlich und unfreundlich ist. Und wieder andere haben Sorge, dass sie etwas Falsches sagen könnten.

Muss das so sein? Muss die Beschäftigung mit Politik anstrengend und die öffentliche Auseinandersetzung verletzend sein? Ich denke nicht. Mit dem Projekt die Öffentlichkeit möchten wir genau diese Baustelle angehen. Wir wollen lokale Orte der Gemeindebildung schaffen, an welchen wir uns über unsere politischen Bedürfnisse austauschen und auch dazulernen können. Wenn wir wieder damit anfangen, uns beim politischen Streit ins Gesicht zu schauen, eskaliert dieser vielleicht nicht so schnell.

Träume kann man noch haben

Wir träumen davon, dass es irgendwann wieder in jeder Gemeinde einen oder gleich viele Ort gibt, an denen sich alle möglichen Menschen treffen können, um sich darum zu kümmern, was sie zusammenbringt – als Nachbar*innen, als Menschen, als politische Wesen. Denn am Ende wollen alle Menschen dasselbe: ein gutes Leben für sich und die Menschen, die ihnen wichtig sind. Und nur, weil Uneinigkeit darüber besteht, wie das zu erreichen ist und unter welchen Bedingungen wir diesen Weg einschlagen, sollten wir uns doch nicht aus dem Weg gehen.

Gemeinsam schaffen alle Menschen so viel mehr. Wir sind Menschen, weil wir uns vergemeinschaften. Da wir in der Lage sind, uns gegenseitig zu helfen und miteinander mehr zu leisten als alleine, konnten wir uns zu den Wesen entwickeln, die wir heute sind. Mensch sein heißt gemeinsam sein. Und es ist eine notwendige Entwicklung, dass nach dem schrittweise Absterben der Innenstädte in den letzten Jahren etwas Neues passiert – die Gemeinde muss neu gedacht werden!

Bleibt dran – im nächsten Newsletter schreibe ich über die Tradition der Begegnungscafés und der Salons.

Ein Modell der Zukunft? Direkte Demokratie 1

Wählen an der Urne

Von der Basis in die Gesetzgebung

Die Demokratie in Deutschland kennt eine Bürger:innenpflicht: Wählen. Wählen ist wie ein Gang in den Supermarkt. Rein theoretisch kauft man sich, was man will. Praktisch kann Werbung ausschlaggebender sein, ganz so wie im Supermarkt. Die Macht der Bürger:innen liegt also in der Bestätigung oder dem Wechsel der obersten Verwalter:innen im Lande. Der Spielraum als Nichtpolitiker:in ist sehr gering. Wenn einem das Angebot nicht schmeckt, gibt es keine Alternative.
Eine andere Gruppe von Demokratieformen ist offener. Häufig geht sie Hand in Hand mit der repräsentativen (oder auch indirekten) Demokratie: die direkte Demokratie.

Sie umschließt all diejenigen demokratischen Praktiken, bei denen nicht das Parlament, sondern die Bürger:innen selber über eine Regelung entscheiden. Mal passiert das von oben, von der Regierung oder auch von unten. Dafür braucht es meist eine Bürger:inneninitative. Solche Abstimmungen kennen wir auf der Länderebene. Bekannt ist der Fall in Bayern über das Nichtraucherschutzgesetz. In der deutschen Öffentlichkeit gilt die Schweiz als Musterland für direkte Demokratie. Wir schauen jetzt genauer hin.

Direkte Demokratie von Anfang an

Im politischen System der Schweiz vereinen sich parlamentarische und direktdemokratische Mechanismen. Das liegt an der Geschichte des Landes. Die Bauern organisierten sich schon früh in Genossenschaften (die Älteste gibt es seit 900 Jahren!). Das Wahlprinzip bei Entscheidungen ist traditionell eine Person eine Stimme (bzw. lange Zeit ein Mann, eine Stimme). Als sich dann die Kantone als Bünde der Genossenschaften herausbildeten, wollte man das Erfolgsrezept des Zusammenlebens nicht missen. Dass es die direkte Demokratie auf der Bundesebene gibt, erscheint notwendig.

Es gibt nur ein Problem. Die Wahlbeteiligung der Schweiz sinkt seit Jahrzehnten, sowohl bei den Volksabstimmungen, wie auch bei den Wahlen. Angegebene Gründe sind hier wenig Vertrauen ins System, Faulheit, Unwissenheit und zu wenig Macht in den Bürger:innenhänden.

Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel

Die Hoffnungen deutscher Vertreter:innen von einer stärker basisdemokratischen Ordnung sind hier nicht gespiegelt. Anstatt einer engagierten Gesamtgesellschaft zeigt sich ein Bild von erstarkender Politikverdrossenheit. Dies liege auch daran, dass aufgrund des besonderen Systems die regierenden Parteien bereits vor der Wahl feststehen.

Eine direkte Demokratie kann also an den gleichen Problemen kränkeln wie andere Formen der Demokratie. Damit Menschen motiviert sind zu partizipieren, braucht es einige universale Voraussetzungen. Die Bürger:innen müssen ihre eigene Wichtigkeit fürs System spüren. Sie müssen den Unterschied machen können, wie ein Land geführt wird. Gleichzeitig braucht es genug Bildungsvoraussetzungen und eine Struktur, die die Partizipation so einfach wie möglich macht. Es wird immer Verdrossene geben, aber auch um deren Motivation sollte man kämpfen. Schließlich ist genau das der Vorteil einer Demokratie auf dem Papier. Anstatt extern gelenkt, bestimmen die Bürger:innen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das Zusammenleben.

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