Die Wahrheit ist nicht, was du denkst

Wahrheit statt Transparenz - wenn es so einfach wäre.
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Der Medienwissenschaftler und Philosoph Sigfried J. Schmidt sagte einmal in einem Interview „Es gibt keine Wahrheit, aber wir brauchen sie.“

Diese Aussage muss näher erklärt werden. Stellt euch einmal vor, es gäbe keine Wahrheit. Es gäbe keine Information, die sicher wäre, keine, auf die ihr euch verlassen könntet. Wir könnten uns über nichts sinnvoll unterhalten, weil wir gar nicht wüssten, was unser Gegenüber eigentlich meint. Und wir könnten nicht einmal normal durch die Straßen laufen, ohne Angst, dass uns gleich der Himmel auf den Kopf fällt. Verrückt, oder?

Zum Glück liegen die Dinge anders. Und was Wahrheit in diesem Sinne in unserem Alltag und mit unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun hat, darum soll es hier gehen.

Wahrheit in der Wissenschaft, Wahrheit im Alltag

Jede Wissenschaft ist dazu da, wahre Aussagen zu machen. Wahrheit ist ein wichtiger Bestandteil jeder Wissenschaft. Was Wahrheit im Grunde ist, beschäftigt jedoch die Philosophie. Und obwohl diese als eine unserer ältesten Wissenschaften gilt, sind sich ihre Vertreter*innen darüber immer noch nicht recht einig. Gottfried Wilhelm Leibniz hat den Unterschied zwischen Vernunft- und Tatsachenwahrheiten eingeführt. Danach sind Vernunftwahrheiten solche, welche uns notwendiger Weise einleuchten (das Gegenteil kann nicht gedacht werden): „Ein Kreis ist rund“ oder „1+1=2“. Tatsachenwahrheiten brauchen jedoch den Abgleich durch Erfahrung: „Es regnet gerade“ oder „Steine sind hart“.

Im Alltag spielt es weniger eine Rolle, wie Wahrheit in der Wissenschaft definiert wird. Im alltäglichen Handeln geht es nie um „die Wahrheit“, sondern darum, ob wir etwas für wahr halten oder eben nicht. Wahrheit hat im Alltag einen praktischen Wert. Wenn ich frage „Regnet es gerade?“, möchte ich wissen, ob ich mir einen Regenschirm mitnehmen sollte. Wenn ich frage „Wer hat die Bundestagswahl gewonnen?“, erlaubt mir die Antwort, mich in Unterhaltungen darauf zu berufen und sinnvoll über die gegenwärtigen Ereignisse in der Politik zu sprechen.

Wie ist Wahrheit entstanden?

Wahrheit ist also etwas Praktisches. Evolutionär betrachtet haben immer diejenigen überlebt, die sich besser auf die Aussagen ihrer Artgenoss*innen verlassen konnten. Zu wissen, wie das Wetter ist und welche Beeren giftig sind, hat früher über Leben und Tod entschieden. Die Wahrheit garantiert uns, dass Dinge nicht willkürlich gesagt werden. Sie gibt uns die Möglichkeit, uns auf unsere Umwelt und unsere Mitmenschen zu verlassen. Ohne sie hätten wir uns nicht so weit entwickelt. Das heißt, Wahrheit ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Entwicklung und unseres Lebens. Dass es heute viel mehr solcher Wahrheiten gibt, macht im Grunde keinen Unterschied, aber es macht es natürlich auch komplizierter und unübersichtlicher.

Was heißt jetzt „Wahrheit gibt es nicht“?

Nun war Leibnitz nicht der Einzige, der etwas Kluges über Wahrheit gesagt hat. Naiv betrachtet, gilt Wahrheit als die Übereinstimmung einer Aussage, mit der Wirklichkeit. Aber was ist die Wirklichkeit? Und wer entscheidet darüber, ob eine Aussage nun wahr ist, also die Übereinstimmung wirklich stimmt? Denn egal welche Betrachtung oder Aussage, sie wird ja immer von einem oder einer einzigen Betrachter*in gemacht. Egal ob es ein religiöses Oberhaupt, ein Patriarch, ein Herrscher, ein Gelehrter oder Tante Erna ist: Was ihre Augen sehen und ihr Gehirn denkt, ist nur jeweils ihre Perspektive. Wer ist der oder die, die alles auf einmal sieht und weiß? Gott?

Für alle, denen eine weltliche Quelle der Wahrheit wichtig ist, gibt es eine andere Lösung. Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas hat die sogenannte Konsenstheorie der Wahrheit beschrieben. Danach ist das Kriterium dafür, ob etwas als wahr gilt, dass sich alle, zumindest unausgesprochen, darüber einig sind. Gerade in den Naturwissenschaften gilt dieser Maßstab spätestens seit der Neuzeit. Forschungsergebnisse müssen für alle experimentell nachprüfbar sein. Und wenn jemand die Wahrheit einer Aussage anzweifelt, muss er oder sie das nachweisen. Denn anders können wir uns auf die Wahrheit einer Aussage nicht einigen. Das passiert ständig. Wissenschaftliche Überzeugungen werden aufgrund von neuen Erkenntnissen angepasst oder überworfen. Wahrheit ist nicht „fest“ oder „ewig“. Wahrheit ist also nicht etwas, das in der Welt existiert und gefunden wird, sondern das Ergebnis einer Einigung. Das heißt, Wahrheit, als die unzweifelhafte Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit, gibt es nicht.

Was hat das mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu tun?

Damit wir uns verstehen, im wortwörtlichen Sinne, aber auch im Sinne von „sich vertragen“, brauchen wir eine Basis an Wahrheiten, über die wir uns einig sind. Wissenschaftler sagen dazu „Common Ground“, was man mit „gemeinsame Grundlage“ übersetzen kann und ein Art Wissensraum meint, den wir teilen. Früher haben fast alle abends Tagesschau gesehen und eine von drei gleichen Zeitungen gelesen. Jeder und jede wusste, was der andere wusste und woher sie es wussten. Heute sind Informationen im Internet so vielfältig und individuell, dass es kaum zwei Menschen gibt, die ihre Informationen von der gleichen Quelle beziehen. Das macht es besonders schwierig, eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Aber erst dieser „Common Ground“ ermöglicht, dass wir normal miteinander kommunizieren und zusammenleben können.

Was passiert nun, wenn wir immer weniger von diesen gemeinsam geteilten Wahrheiten haben? Logischer Weise wird dann die gemeinsame Basis instabil. Die gesellschaftliche Kommunikation, sich gemeinsam auf Dinge zu einigen, wird schwieriger, da ja nicht einmal die Grundannahmen übereinstimmen. Im Kleinen ist das kein Problem. Anhänger verschiedener Parteien gehen in manchen Dingen von unterschiedlichen Grundannahmen aus, was dazu führt, dass sie andere Lösungen dafür finden, wie wir gut zusammenleben. Im Großen führt das dazu, dass es immer mehr Menschen gibt, die anderen nicht mehr über den Weg trauen und das Konzept von Wahrheit anfangen abzulehnen. Denn es gibt ihnen nicht mehr die erwartete Sicherheit. Und wenn wir uns nicht mehr einig sind, bedroht das unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.

 

Im nächsten Newsletter gehe ich darauf ein, wie eine verschwindende „gemeinsame Grundlage“ unsere Politik beeinflusst und warum gesellschaftliche Kommunikation ein unverzichtbarer Teil unserer Gewaltenteilung ist.

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Keine Kohle, keinen Platz in der Politik?

Fünf Euro Kohle

Keine Kohle, keinen Platz in der Politik?

Der Anspruch einer Demokratie ist, dass jede:r die Möglichkeit hat, an ihr teilzuhaben. Das heißt auch: egal ob mit oder Kohle. Im Grunde können sich Interessenvertretungen frei ausbilden und du kannst dich diesen entsprechend anschließen. Entweder, indem du sie als offizielle Partei wählst, oder du dich zum Beispiel in einem Verein oder einer Gewerkschaft engagierst. Die Möglichkeiten sind vielfältig und nahezu unendlich. Heutzutage werden sie immer zahlreicher und dezentraler, während alte Größen wie die Kirchen an Macht einbüßen.

„Lebensumstände definieren Beteiligung in der Demokratie“

Viele finden das gut. Frei nach dem typischen Einkaufscharakter des Liberalismus, von dem ich zuletzt sprach. Es gibt aber Personengruppen, die an keiner dieser Möglichkeiten teilhaben. Eine Demokratie braucht aber die Vielfalt von Perspektiven. Schließlich geht es hier nicht mehr um die eine herrschaftliche Perspektive der Monarch:in, sondern darum, dass die Leute sich selbst repräsentieren.

Dafür gibt es vielfältige Gründe. Neben von persönlichen Krisen geplagten Lebensumständen ist es vor allem die soziale Lage Einzelne:r, die bestimmend ist für ihr politisches Engagement. Gerade viele Frauen betrifft das. Überproportional vertreten sind vor allem diejenigen, die in geordneten Verhältnissen leben und eher der Mittelschicht und höher zuzuordnen sind.

„Finanzielle Mittel helfen“

Wie kann man dieses Problem lösen? Natürlich könnte man motivierende Programme vorschlagen und Vereine unterstützen, die sich in diese Richtung starkmachen. Leider wird hier aber nicht einer der Hauptgründe aufgegriffen. Es geht um die Kohle.

Wer kein Geld hat, der kann sich in dieser Gesellschaft kaum engagieren. Wer Vorteile durch die Gesellschaft hat, wird sich eher engagieren.

Eine Lösung dafür wäre das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen: ein Einkommen, welches der Staat an theoretisch alle Bürger:innen zahlt. Damit soll grundsätzlich die Möglichkeit auf ein gutes, wenn auch einfaches Leben gesichert sein. Das könnte individuelle Spielräume im Engagement ermöglichen.

„Mehr Platz zum Leben“

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte Existenzängste beseitigen und den bzw. Die Einzelne:n freier machen für Teilhabe, aber auch für Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung. Schließlich kannst du jetzt Geld zurücklegen oder ein Seminar besuchen oder in dein Hobby investieren. Dadurch würde auch die Wirtschaft angekurbelt. Vor allem könnte diese finanzielle Sicherheit bedeuten, dass man sich stärker in die Gesellschaft integriert, da man mehr Möglichkeiten hat. Jetzt kannst du es dir schlichtweg leisten. Dies soll nicht schmälern, was andere trotz prekärer Grundlage leisten. Aber: Eine Demokratie mit gerechter Interessenvertretung und einem repräsentativen Parlament würde stabiler und flächendeckend möglich werden, wenn alle dieselbe Chance haben, sich für eigene Interessen einzusetzen. Was nützen dir bürgerliche Rechte, wenn du sie nicht wahrnehmen kannst?!  

Salon – Kaffeehaus – die Öffentlichkeit

Kaffeehaus

Tradition des Kaffeehauses

Überleg mal kurz. Wo hattest du dein letztes richtig gutes Gespräch über Politik oder gesellschaftliche Themen? Ich rate jetzt mal. Es war höchstwahrscheinlich an einem Tisch, über einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein. Zumindest war für dein leibliches Wohl gesorgt, du hast dich wohl gefühlt und genug Zeit und Raum gehabt, um über Kompliziertes oder sogar Unangenehmes zu sprechen.

Auch wenn es nicht gerade das letzte Gespräch war – du wirst so ein gutes Gespräch schon einmal gehabt haben. „Politik beginnt im Kaffeehaus“, titelte einst eine bekannt Kaffeemarke und Stefan Zweig schrieb über das Wiener Kaffeehaus: „Es stellt eine Institution besonderer Art dar, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist. Es ist eigentlich eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast […] stundenlang sitzen, diskutieren […] kann.“

Wer gemeinsam isst, der vertraut sich

Über einer Tasse Kaffee, einem abendlichen Getränk, einem Stück Kuchen oder sogar dem Abendbrot, lässt sich so viel entspannter über gesellschaftliche Themen reden. Das gemeinsame Essen und Trinken verbindet. Die besten Gespräche hat man zu Tisch. Wir teilen unser Brot und unseren Wein und dann können wir uns gerne darüber streiten, wieviel Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu viel ist.

Doch die Tradition der Orte, an denen das gesellschaftliche Leben geprägt wurde, ist selbstverständlich älter als die Wiener Kaffeehauskultur. Schon die Agora, der zentrale Versammlungs- und Marktplatz im antiken Griechenland, galt als Ort, der das gesellschaftliche Leben besonders prägte. Und viele Jahrhunderte später war es meist der Marktplatz, auf dem man Nachrichten erfuhr und sich am öffentlichen Leben beteiligte.

Ist ein Kaffeehaus nur was für die „Schlauen“?

In der Hochzeit der Aufklärung entstanden dann in vielen Ländern Europas die literarischen Salons. Hier trafen sich nicht nur berühmte Künstler (um mit Goethe, den Gebrüdern Grimm und Beethoven nur ein paar Schwergewichte zu nennen), es wurde sich neben Literatur und Musik auch über Politisches und Gesellschaftliches ausgetauscht. Die Salonkultur reichte noch bis ins 20. Jahrhundert, aber um die Jahrhundertwende entwickelten sich dann die weit öffentlicheren Kaffeehäuser als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, allen voran die Kultur des Wiener Kaffeehauses.

„Für das gesellschaftliche und theilweise auch für das geschäftliche Leben von Wien sind die Kaffeehäuser von der höchsten Bedeutung“, so der Illustrierte Wegweiser durch Wien und Umgebungen, erschienen um 1900. Auffällig ist wohl, dass sich an all diesen Orten des gesellschaftlichen Lebens vor allem Intellektuelle trafen, Künstler, Schriftsteller und Musiker. Sind es nur die „Gebildeten“, die sich für die Einmischung und den Austausch über das öffentliche Leben interessieren? Ich glaube nicht. Damals haben die traditionellen Orte des gesellschaftlich, öffentlichen Lebens die gesellschaftliche Realität, aber auch deren Wandel abgebildet.

Vor 200 Jahren hatten Frauen kaum Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzuhaben, oder sich an Gesprächen über gesellschaftlichen Themen zu beteiligen. Mit den Salons änderte sich das ein wenig und ebnete so den Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts nicht unwesentlich den Weg. Und im Kaffeehaus der letzten Jahrhundertwende entwickelten sich liberale Gedanken, die danach mehr und mehr Einfluss auf die Gestaltung der Demokratien von heute nahmen.

Und was hält die Zukunft bereit?

Heute sind die Social-Media-Kanäle die dominanten Räume der Öffentlichkeit. Diese Entwicklung hat uns viel gebracht, doch für mich persönlich überwiegt momentan der negative Einfluss auf die Stimmung der Gesellschaft. Was können wir schaffen, wenn wir eine neue Kultur von Begegnungsort etablieren? Wofür werden die „Orte der Öffentlichkeit“ bekannt sein, wenn man in 100 Jahren auf sie zurückblickt? Wir hoffen, dass wir zu einem neuen Selbst- und Politikverständnis beitragen, das hilft, unsere Demokratie wieder stabiler und authentischer zu machen. Wie ich schon zuvor einmal schrieb, es kann nie allen recht gemacht werden, aber es ist möglich, die Bedürfnisse der meisten Menschen besser umzusetzen. Auf eine neue Kultur des Tischgesprächs – auf die Öffentlichkeit.

Bleibt dran – im nächsten Newsletter wird es politisch. Es geht um „fake news“ und das Für und Wider des Impfens.